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Dirk Bormann in Schweden… Seufz. Schweden ist schön, aber das Haus seiner Tante Karin und ihres neuen Gemahls Sven befindet sich auf einer kleinen, abgelegenen Insel drei Stunden von Stockholm entfernt…
Als ich aufwachte, fiel mir wieder ein, welcher Tag heute war. Die Funktionsweise meines Hirns ist ziemlich unergründlich, wisst ihr. Namen oder Wörter vergesse ich oft im Handumdrehen oder bringe sie durcheinander. Aber ein Datum, ein Ereignis? An so was erinnere ich mich problemlos.
Also ja. Ich wusste, dass heute ein besonderer Tag war. Sollte es nicht sein, war es aber. Ich wusste auch, dass heute kein guter, sondern ein beschissener Tag sein würde. Aus gewissen Gründen. Stellt keine Fragen, ja?
Ich krabbelte mürrisch aus dem Bett, pisste, warf ein paar Klamotten über meinen nackten Körper und schleppte mich in die Küche, um mir eine schöne, große Kanne Kaffee zu kochen. Er musste stark sein und so schwarz wie meine Laune.
Das Wetter war dufte. Sonnenschein, sanfte Temperaturen, eine leichte Sommerbrise. Vögel zwitscherten, was das Einzige war, das die ohrenbetäubende Stille der Insel aufstörte.
Ach, Stinksö. So ein Stinkloch. Auf Deutsch würden wir stöhnen, dass sich hier Fuchs und Hase gute Nacht sagen. Auf Französisch würden wir die Insel „le trou du cul du monde“ nennen – den Arsch der Welt. Unmittelbar verständlich, oder? Ich bin sicher, die Schweden können’s noch kürzer und prägnanter. Sie sagen einfach „Stinksö“.
Genau. So heißt meine verdammte Insel.
Gern geschehen.
Um elf saß ich auf der Terrasse, schlürfte meine x-te Tasse, starrte düster auf den Fichtenhain vor mir und dachte: Mein Gott – Natur, Natur, Natur… wo kommt bloß die ganze Natur her? Wirklich Unmengen davon, grün und saftig und voller Leben. Igitt.
Da klingelte das Festnetztelefon. WLAN hatten wir hier keins, aber einen bekackten Festnetzanschluss. Man fragt sich echt, warum.
Mit der Tasse in der Hand stürzte ich ins Haus hinein, denn hey, Telefon bedeutete Kontakt mit der Menschheit.
Meine Tante Karin war am Apparat.
„Hallo, Liebling“, trällerte sie.
„Hey, Tante.“
Jemand rief im Hintergrund etwas, das überraschenderweise wie… Griechisch klang. Was sollte das denn? Tantchen sollte doch in der Ostsee herumkreuzen! Bevor ich mich erkundigen konnte, was los war, meinte sie herzlich: „Ich glaub, ich brauch dich nicht fragen, wie’s dir geht. Also frag ich stattdessen: Wie schlägst du dich durch?“
„Wunderbar, Tante.“
„Hmpf.“
„Wirklich. Ich versteh gar nicht, warum du fragst.“
„Komm schon. Wir wissen, welcher Tag heute ist, und wir wissen ebenfalls, wie niedergeschlagen du immer bist.“
„Ich bin nicht niedergeschlagen, Tantchen!“
„Lüg mich nicht an!“ Ihr Ton war scharf. Geduld konnte man Tante Karin bestimmt nicht vorwerfen.
Wir schwiegen einen Moment. Ein Specht tock-tock-tockte auf einem Baum hinter dem Haus. Dann murmelte meine Tante sanft: „Ach, ich wär jetzt gern bei dir, Liebling.“
„Wozu denn? Um mein Händchen zu halten? Mir über die Haare zu streichen?“
Sie schnaubte. „Als ob das jemals was geändert hätte. Nein, wir könnten reden.“
„Wir reden ja.“
„Von Angesicht zu Angesicht, du dummer Junge.“
Ich lehnte mich auf dem Holzstuhl zurück und kratzte mich am Kopf. „Ob du’s glaubst oder nicht, es gibt nichts zu bereden.“ Ich hörte sie wieder „Hmpf“ machen, also fügte ich hinzu: „Nichts, worüber ich reden möchte.“
„Es ist auf den Tag fünf Jahre her! Du solltest schön langsam über deine Gefühle sprechen.“
„Das Thema ruft in mir aber keine Gefühle hervor.“
„Blödsinn. Sie war deine Mutter, um Himmels willen.“
„Auf dem Papier.“
Tante Karin seufzte. „Für jemanden, der mir einreden will, dass alles eitel Honiglecken ist, klingst du ziemlich aufgewühlt, Liebling.“
Ihre Stimme war so weich, dass ich nachgab. „Okay. Vielleicht bin ich heute tatsächlich ein bisschen nachdenklich. Aus den Gründen, auf die du anspielst. Die Tatsache, dass ich in diesem letzten nördlichen Außenposten der Zivilisation feststecke, verbessert die Situation auch nicht unbedingt. Und die Aussicht, den ganzen Tag nichts zu tun zu haben, noch weniger.“
„Warum bist du nicht mit der Morgenfähre nach Stockholm gefahren, Liebling?“
„Bin zu spät aufgewacht.“
„Du könnest immer noch die Mittagsfähre nehmen.“
Ich seufzte. „Ich weiß, das klingt verrückt, aber ich hab heute keine Lust auf Menschenmengen.“ Ich sagte ihr nicht, dass ich Stinksö seit einer Woche nicht verlassen hatte, weil sie sich unnötig Sorgen machen würde. „Ich denke, ich werde später spazieren gehen. Oder ich schau kurz bei Gunnar vorbei. Sicher ist das aber nicht. Du weißt ja, wie geschwätzig er ist. Wahrscheinlich bleib ich einfach hier und unterhalte mich mit einem Eichhörnchen.“
Tante Karin kicherte. Dann meinte sie: „Warum gehst du nicht zum Bootshaus runter? Ich bin mir sicher, dass du’s dir noch nicht einmal angesehen hast. Du könntest, ich weiß auch nicht, schwimmen gehen.“
Ich schnaubte. „Dass du verrückt bist, Tantchen, hab ich immer für selbstverständlich gehalten. Aber der Vorschlag setzt dem Wort ‚verrückt‘ noch mal ein Sahnekrönchen auf. Das Meer hat höchstens fünfzehn Grad! Falls du mich umbringen willst, musst du wissen, dass ich mein Geld schwulen Hilfsorganisationen vermache. Du bekommst keinen Cent.“
Sie lachte herzlich. „Du dummer, dummer Junge. Als ob ich dein Geld brauchte. Okay, geh nicht schwimmen. Mach was anderes. Da wäre zum Beispiel das Ruderboot…“
Ich hörte Onkel Sven was einwerfen, das Tante Karin sofort weitergab: „Man weist mich darauf hin, dass es auch ein paar Kajaks gibt. Bist du nicht letztes Jahr in Griechenland gern Kajak gefahren?“
„Bin ich, aber hauptsächlich, weil ich mit dem Typen im Wassersportzentrum eine kurze Affäre hatte. Stavros, oder?“
„Der große, gut aussehende Junge mit dem Lippenpiercing? Hieß der nicht Yiorgos?“
„Ach was, Yiorgos war der Kellner vom Strandcafé. Der mit der Tintenfischtätowierung.“
„Dann hieß er Christos.“
„Oder Dimitrios.“
„Athanasios?“
„Vielleicht Thermos. Wie auch immer.“ Ich seufzte. Sie merkt sich Namen fast so schlecht wie ich.
„Aber klingt ein Kajakausflug nicht nach einer tollen Idee?“, meinte Tante Karin hartnäckig. „Ich bin sicher, das würde dir gefallen. Die kleineren Inseln rund um Stinksö sind wunderschön, so wild und naturbelassen…“
Ich schnaubte, weil noch mehr Natur?
„… und sie sind in Reichweite. Du könntest den Tag an einem schönen Strand verbringen und an andere Dinge denken als…“
Ich unterbrach sie rasch: „In Ordnung, in Ordnung. Ich werd es mir mal anschauen.“
Wir unterhielten uns noch ein bisschen, und ich erfuhr, dass ich nicht halluziniert hatte. Tante Karin und Onkel Sven waren tatsächlich nicht irgendwo zwischen dem Kattegat und Sankt Petersburg unterwegs, wie ich naiv geglaubt hatte, sondern befanden sich in Griechenland. In Tantchens Haus, wo ich letzten Sommer gewohnt hatte und wo es mir gelungen war, den großen, gut aussehenden Stavros mit dem Lippenpiercing (falls das sein Name war) ins Bett zu kriegen. Und Yiorgos mit der Tintenfischtätowierung auch. Sowie unzählige andere.
„Ich hab Sven gesagt, dass ich Sonne und Wärme brauche“, meinte Tante Karin anstelle einer Erklärung. „Ich wollte auch endlich von diesem Boot runter.“
„Das ist eine Jacht, um Himmels willen“, protestierte Onkel Sven auf Englisch. Er hatte anscheinend das deutsche Wort „Boot“ verstanden, was mich vermuten ließ, dass das schwedische Wort ähnlich klingen musste. Ja, meine Tante und ich sprechen Deutsch. Weil wir Deutsche sind.
Tante sagte beruhigend: „Natürlich, mein Honigbrötchen. Eine Jacht.“
Ich kicherte. Tante Karin… Sie war wirklich einzigartig. Kennt ihr viele Leute, die Kreuzfahrten lieben, aber es hassen, auf einem Boot zu sein? Oder auf einer Jacht?
Als wir auflegten, fühlte ich mich besser. Spontan beschloss ich, mir Tante Karins Vorschlag zu Herzen zu nehmen. Nämlich die Kajakfahrt. Was hatte ich zu verlieren?
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